ROTKLEE IX   OBSESSIONEN

 

Ausstellungsansicht I
Obsessionen lautet der Titel der Ausstellung. Ist Obsession nicht eine Krankheit? In der Tat! Es ist eine psychopathologische Zwangsstörung. Die Behandlung gehört in die Hand des Psychiaters. Obsession nennt man aber auch eine intensiv betriebene Leidenschaft. An dieser Krankheit leiden Künstler gern! Kein Kunstwerk der bildenden Kunst von der Steinzeit bis zur Gegenwart hätte die Zeit überdauert, wäre es nicht mit obsessiver Hinwendung des Künstlers entstanden. Kein Kunstwerk entsteht so nebenbei, es sei denn, es verdient den Namen nicht. Immer ist es die intensive geistige Auseinandersetzung mit dem Faktum und – wenn es hoch kommt – die meisterliche Umsetzung mit den Mitteln der bildenden Kunst, die diesen Prozess erkennbar macht.

Aber zunächst gebietet es die Höflichkeit, unseren Gast vorzustellen, zumal es erstmalig eine Dame ist. Sie wissen, in jeder Ausstellung von ROTKLEE ist auch ein Gastkünstler vertreten, lebend oder schon nicht mehr. Diesmal ist es, leibhaftig, Claudia Tübke aus Stralsund. Herzlich willkommen, Claudia!
Du bist vertreten mit zwei überzeugenden großformatigen Zeichnungen. Deine Obsession zeigt sich hier in der virtuosen Führung des Zeichenstiftes. Nicht von Farbe und Form geht die Wirkung aus, sondern einzig von der Linie, gesetzt mit dem einfachsten künstlerischen Werkzeug, dem Bleistift. Betrachten sie die filigranen Strukturen lange – länger als man anfangs bereit ist, in unserem schnelllebigen von Bildern überfluteten Leben. Nehmen sie sich 10 Minuten. Lassen sie sich ein und die meditative Stille, die von den Zeichnungen ausgeht, wird sich auf sie übertragen. Dann gerät es zum Genuss. Ich verrate ihnen kein Geheimnis: Jedes Kunstwerk möchte so betrachtet werden! Verbringen sie 10 Minuten mit ihm und eine neue Welt kann sich vor ihnen auftun!

Ausstellungsansicht II
Egon Arnold, Walter G. Goes, Frank Otto Sperlich und ich haben, ohne zu wissen was der andere bringen wird, für diese Ausstellung Arbeiten ausgewählt, welche dem Titel Obsessionen gerecht werden , uns geprägt, vielleicht sogar unser Leben verändert haben. Der Rückblick auf gelebte Jahrzehnte – wir sind alle schon in siebten – erlaubt ein gültiges Urteil – und sei es nur für sich selbst.

Egon Arnold sieht und zeigt sich in seinen Arbeiten bodenständig, erdverbunden. Seit mehr als zwölf Jahren wendet er sich immer wieder der Einmaligkeit der rügenschen Landschaft zu, dem Boden unter seinen Füßen, wie er sagt – Putbus, dem Vilm besonders. Er ist unser zeitgenössischer Vilm-Maler! In der heutigen Ausstellung bilden fotografische Entdeckungen die Vorlage für die weitere Verarbeitung mit dem Zeichenstift, dem Pinsel oder als Collage und es entstehen nicht selten ganze Serien über die gleiche Entdeckung.

Egon Arnold

 

Walter G. Goes kennen wir als einen Künstler, der sich beständig und obsessiv mit Geschichte beschäftigt, seiner Geschichte und sie im Lichte seiner Lebenserfahrung mit seinen künstlerischen Mitteln verarbeitet und interpretiert. Dabei ist er breit aufgestellt mit Zeichnung, Grafik, Malerei, dem Objekt und nicht zuletzt – dem Wort.

Er zeigt uns Arbeiten, die teils vor Jahrzehnten entstanden sind, und den großen Geistern der Geschichte, hier der Französischen Revolution gewidmet sind.
Parallelen tun sich auf: 1789 – die Französische Revolution – blutig niedergeschlagen aber Impulse gesetzt für alle folgenden Generationen. 200 Jahre später – 1989- eine andere Revolution – friedlich, ohne einen Tropfen Blut. Haben Menschen etwa gelernt? Walter Goes würde das wohl nicht unterschreiben. Denn dazwischen sind grauenvolle Dinge geschehen. Seine Studienreise – als Nachgeborener – in das Konzentrationslager Stutthof hat ihn zur künstlerischen Reflektion gleichsam gezwungen. Eine Abreibung jenes Pflasters, über das tausende Häftlinge in den Tod gingen und ein kleiner verdorrter Kinderschuh von diesem Ort – sie machen einfach nur sprachlos.

Walter Goes

Frank Otto Sperlich hat sich nach jahrelangem Zögern an die bildnerische Verarbeitung eines ihn prägenden Erlebnisses gewagt: Als Filmemacher war er auf den Spuren der Ereignisse des 29. und 30. September 1941 in Kiew. Babij Jar ist in die Geschichte eingegangen als das schlimmste Massaker des zweiten Weltkrieges durch die deutschen Besatzer. Fast die gesamte jüdische Bevölkerung von Kiew – 33771 Menschen – wurden in zwei Tagen ermordet. 

Als Künstler an diesem Ort gewesen zu sein ohne ihn künstlerisch zu verarbeiten war für ihn undenkbar. Wohl wissend, dass er scheitern muss, weil es keinen abschließenden bildnerischen Ausdruck dafür geben kann, musste er es tun, um sich davon zu befreien. 

Damals eine Schlucht am Rande der Stadt, heute ein Erholungspark mitten in Kiew. Es erinnert an diesem Ort nur wenig – in einem Land, das bald zu unserer europäischen Wertegemeinschaft gehören könnte.

Schichten legen sich über Geschichte – sagt Frank Otto Sperlich. Sedimentiertes Inferno.
Berühren erwünscht! Eine Aufforderung an den Betrachter, sich durch Berührung berühren zu lassen.

Frank Otto Sperlich

Meine bildnerische Obsession ist immer wieder der Abgleich der christlichen Lehre mit dem Leben in der Gegenwart. Die Faszination der Bibel – für mich als Atheisten, die Apostelgeschichte und die Verbreitung des Christentums, die Klarheit der Evangelien. Der Verrat durch Judas Ischariot, sein Lohn und sein Ende.

Die Gewissheit, dass ohne den christlichen Glauben und die anderen Religionen– bei allen Irrwegen – die Menschheit schon vor Jahrhunderten im Chaos versunken wäre – die Gefahr jedoch nicht gebannt ist, denn neue Apostel predigen ein neues Evangelium – das Evangelium der Allmacht des Geldes. Es ist ein neuerlicher Verrat – diesmal an der Mehrheit der Menschen.

Welchen Rat würde uns ein Außerirdischer mit Blick auf unsere Geschichte und unsere Gegenwart geben? Sollten wir nicht ganz von vorn beginnen?

Günther Haußmann